"Hass ist keine Meinung"

Niedersächsische Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz unterstützt Grüne im Wahlkampf in Soltau

13.10.17 –

Niedersächsische Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz unterstützt Grüne im Wahlkampf in Soltau

Von Dirk Meyland

SOLTAU. Mit unflätigen Kommentaren im Internet kennen sich Politiker aller Couleur aus. Dies gilt auch für den Landtagskandidaten Holger Stolz von Bündnis 90/Die Grünen, wie er am Dienstag im Gespräch mit der niedersächsischen Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz einräumte, die zur Wahlkampfunterstützung ins Hotel Meyn nach Soltau gekommen war. „Hass“, stellte die Ministerin klar, „ist keine Meinung.“ Insofern könne sie es sich nicht vorstellen, dass die erzwungene Löschung von diffamierenden, falschen oder anmaßenden Beiträgen im Netz verfassungswidrig sein könnte.
„Facebook, Twitter und Co. sind für viele längst Teil der Realität“, sagte Niewisch-Lennartz, „zum Teil mehr als die analoge Welt.“ Letztlich sei die Gesellschaft als Ganze gefordert, gegen „Fake News“, „Social Bots“ und offen zur Schau gestellten Hass in der vermeintlichen Anonymität vorzugehen. Juristisch sei beispielsweise durch die Kooperation mit Facebook, anstößige Kommentare auf Verlangen zu löschen, schon einiges erreicht. Jeder Mensch, so die Justizministerin, habe einen Anspruch darauf, die Klarnamen der Verfasser von Facebook und anderen sozialen Netzwerken zu erhalten, um selbst gegen sie vorzugehen – so wie die Grünen-Bundestagsabgeordnete Renate Künast, die die Namen der Schreiber von Hasskommentaren ausfindig gemacht hatte, zu ihnen reiste und sie mit ihren Einträgen konfrontierte.
Die Strahlkraft solcher Aktionen sei nicht zu unterschätzen, betonte Niewisch-Lennartz. Sie zeigten: „Das Internet ist kein rechtsfreier Raum.“ Der Landespräventionsrat biete mittlerweile Trainings zum Thema Gegenrede an, weil „Gegenhalten manchmal besser ist als Löschen“.
Ob Rotlicht-Milieus oder das Schanzenviertel beim G20-Gipfel in Hamburg: Die 64-Jährige sprach sich vehement gegen rechtsfreie Räume aller Art aus. Es gebe Bereiche, in die die Polizei schlecht hereinkomme, räumte sie ein, „aber wir akzeptieren die Bereiche nicht. Das müssen wir in der Haltung deutlich machen.“ Im Übrigen, so Niewisch-Lennartz, seien Vorhaltungen, dass die Grünen und die Polizei sich nicht „grün“ seien, falsch. So stehe im Parteiprogramm, dass die Zahl der Auszubildenden bei der Polizei jährlich um 250 gesteigert werden solle, zudem setze sie sich für eine „gute Ausbildung“, insbesondere in Deeskalation, und gute und passende Ausstattung ein. Es bringe nichts, die besten schusssicheren Westen zu haben, wenn sie so schwer seien, dass sich kein Polizist darin bewegen könne.
Aufgrund der Zunahme von als extremistisch eingestuften Gefährdern seien sämtliche Strukturen in der niedersächsischen Justiz überprüft und die Kooperation mit dem Staatsschutz verstärkt worden, so Niewisch-Lennartz. So werde mittlerweile darauf geachtet, dass verurteilte Straftäter mit islamistischem Hintergrund in Gefängnissen keine anderen Insassen beeinflussten. „Es ist sehr anspruchsvoll, das flächendeckend zu gewährleisten“, sagte die in Lüneburg geborene Juristin. In Bezug auf mögliche terroristische Straftaten sei eine eigene Ermittlungsgruppe gegründet worden.
Auch innerhalb der Justiz habe es seit 2013 maßgebliche Veränderungen gegeben. „Wir haben sie in einem Maß aufgestellt, wie es Niedersachsen noch nicht gekannt hat“, sagte Niewisch-Lennartz. Gut 650 neue Mitarbeiter seien eingestellt worden, nicht nur Richter und Staatsanwälte, sondern auch Personal für den „Maschinenraum der Justiz“. Die Zahl der Mitarbeiter steige so von rund 7750 auf bald 8400. „Trotzdem werden wir weitere Verstärkung brauchen“, kündigte sie an. Der Bereich Verwaltungsjustiz sei aufgrund der Flüchtlingspolitik bereits deutlich verstärkt worden. Sie werde sich zudem für eine Spezialisierung von Einrichtungen einsetzen. Insbesondere der Bereich Wirtschaftsstrafsachen müsse deutlich breiter und professioneller aufgestellt werden. Mit jener Spezialisierung, betonte die Justizministerin, gehe ausdrücklich keine Beschneidung der Kompetenzen vonAmtsgerichten einher. Allerdings komme „der Amtsrichter, der alles macht“, in der heutigen komplexen Welt an seine Grenzen.
An einem Ziel, für das es Zustimmung auf breiter Front gebe, werde sie auch weiterhin festhalten: Ersatzhaft infolge wiederholter Bagatelldelikte (beispielsweise notorisches Schwarzfahren, Diebstahl von Alkoholika durch Alkoholiker) abzuschaffen. „Das ist ökonomischer Quatsch und sinnlos“, stellte sie klar. Mit Verpflichtung zu sozialer Arbeit wäre den Tätern und der Gesellschaft viel mehr geholfen, und Gerichte würden entlastet. Weiter einsetzen werde sie sich auch für ihre „Leidenschaft“, gerichtsnahe Mediation. Die Erfolgsquote von 80 Prozent bezeichnete sie als „sensationell“, zumal es neben vermeintlichen Kleinigkeiten wie Nachbarschaftsstreitigkeiten auch um große Streitthemen wie den niedersächsischen Krankenhaus-Finanzierungsplan gegangen sei.
Auf ihrer Agenda stehe zudem eine Verstärkung des Opferschutzes: „Er fängt vor dem Ermittlungsverfahren an.“ Auch sei ihr daran gelegen, bei Tätern die eigentliche Tat stärker in den Mittelpunkt zu rücken und darauf zu drängen, dass Täter mehr Verantwortung übernehmen.

Quelle: Walsroder Zeitung vom 12.10.2017
Autor: Dirk Meyland
Dieser Text ist mit freundlicher Genehmigung der Walsroder Zeitung hier verwendet, weshalb wir der Walsroder Zeitung an dieser Stelle ausdrücklich danken.

Kategorie

Justiz | Landtagswahl